es seii purger ader gest – Fernkaufleute als Fremde in der Stadt
Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Nina Gallion
Die spätmittelalterlichen Städte des römisch-deutschen Reichs waren eine auf Schwur gegründete Gemeinschaft grundbesitzender Bürgerfamilien. Geistliche, Juden und Beisassen kamen als weitere Gruppen mit eigenem Rechtsstatus hinzu. Alle anderen galten als Fremde, selbst wenn sie sich viele Jahre in einer Stadt aufhielten. Die Quellen bezeichnen sie als Gäste. Die Bandbreite reichte von Bettlern und fahrendem Volk über landsässige Bauern und Handwerker, die den Markt beschickten, bis zu adeligen Gästen und Fernkaufleuten. Da sie nach mittelalterlicher Vorstellung den Schutz der Stadt genossen, hatten sie sich an den städtischen Lasten zu beteiligen (zum Beispiel an Steuern und Wachtdiensten), ohne jedoch die Vorzüge des Stadtrechts (zum Beispiel Erb- und Besitzrecht, Zollfreiheit) nutzen zu können. Vor allem durften sie keinen Grundbesitz erwerben, sondern hatten bei einem Wirt zu wohnen. Die sogenannten Gästerechte, die seit dem 13. Jahrhundert überliefert sind, denken bei Gästen vor allem an Kaufleute, die im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen sollen. Die Städte waren auf diese Fernhändler notwendig angewiesen, versuchten aber zugleich deren Handlungsspielräume einzuschränken (zum Beispiel Verbot des Detailverkaufs, höhere Gebühren, Stapel), um die heimische Produktion der Bürger zu schützen.
Im Mittelpunkt des geplanten Promotionsprojekst stehen die Fernhandelskaufleute als Gäste in Lübeck und Nürnberg im 15. Jahrhundert. Beide Städte waren zentrale Handelsorte mit einem stetigen Zuzug aus sehr unterschiedlichen Landschaften. Die Reichsstadt Nürnberg war Dreh- und Angelpunkt im Süden und verband Mittel- und Süddeutschland mit Osteuropa und Oberitalien. Die Reichsstadt Lübeck war die Metropole im Norden und verknüpfte das Reich über den Ost- und Nordseehandel mit Skandinavien und dem Baltikum. Bislang wurden die Hansestädte als Sonderfall behandelt. Auch hier galt aber städtisches Gästerecht wie in oberdeutschen Städten. Rechtlich wurden die Kaufleute zu einer separaten Gruppe inmitten der Stadt. Das Projekt untersucht die soziale Dynamik des komplexen Geflechts von Gästen, ihren Wirten als Agenten, den Bürgern und dem normsetzenden Rat. Dieser machte durch neue und zunehmend schärfere Bestimmungen die Gäste immer mehr zu Fremden in der Stadt. Hinsichtlich der Quellenlage sind im Fall Lübecks Gästesteuerlisten erhalten, während in Nürnberg die umfangreichen Briefregister sowie die Handelsakten eine ebenfalls sehr gute Quellenbasis bieten. Die normativen Regelungen aus den Stadtrechten und Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit kommen ergänzend hinzu.
Die Kaufleute waren der Motor der spätmittelalterlichen Wirtschaft. Das Projekt zeigt sie als Gäste in der Stadt – ein Aspekt, der in der Forschung kaum Beachtung gefunden. Zugleich leistet es den bislang nicht erfolgten Vergleich zwischen oberdeutschen Städten und Hansestädten und eröffnet einen neuen Blick auf Fremdheit im urbanen Kontext.